Immer mehr Gruppierungen stellen an sich Benachteiligungen fest. Der Ruf nach Entschädigung wird immer lauter. Der moralische Druck auf politische und gesellschaftliche Institutionen wird immer stärker. Damit einher geht aber auch eine zunehmende Einschränkung der Redefreiheit.
Bernd Ahrbeck, emeritierter Professor für psychoanalytische Pädagogik beteiligt sich mit seinem Essayband leidenschaftlich am aktuellen Zeitgeschehen. Er stellt fest, dass political correctness als politischer Entwurf die Gesellschaft und den Staat umzukrempeln droht. In acht Kapiteln spannt er den Bogen vom Thema Gerechtigkeit über Inklusion, Transgender und Cancel-culture hin zu Formen der Vergangenheitsbewältigung, die sich anschicken, den Lauf der Geschichte neu zu definieren.
Es wird häufig von Gerechtigkeit gesprochen. Ahrbeck geht der Bildungsgerechtigkeit auf den Grund und entlarvt dabei die Illusion, Gesamtschulen würden durch das gemeinsame Lernen aller per se zu mehr Chancengleichheit führen. Dem für unser Land einst typischen dreigliedrigen Schulsystem wird zunehmend der Vorwurf des Rassismus oder gar der Apartheid gemacht.
Auch der Begriff der Inklusion gibt Anlass zu viel Diskussion. Obwohl er nicht hinreichend definiert ist, beinhaltet er doch eine Verpflichtung zu gemeinsamer Unterrichtung von Kindern mit Behinderungen mit solchen, die keine Beeinträchtigung haben. Inklusion wird gar schon als ein Menschenrecht propagiert. Man darf heute nicht mehr die Frage stellen, ob denn kognitiv oder physisch beeinträchtigte Kinder und Jugendliche nicht besser in Förderschulen aufgehoben wären, wo sie ihren Fähigkeiten gemäß in kleinen Gruppen unterrichtet würden. Der Autor weist besorgt darauf hin, dass in vielen Bundesländern Förderschulen aufgelöst würden. Auf dem Prüfstand stehe nicht nur der Begriff der Sonderpädagogik, sondern das, was eigentlich „normal“ ist.
In der heutigen Sexualpädagogik wird davon ausgegangen, dass das biologische Geschlecht eine bloß soziale Konstruktion sei. Ahrbeck bedauert es, dass im Zuge der Genderbewegung die Erziehungsarbeit von Eltern und Lehrern geringgeschätzt wird. Es sei nun einmal erwiesen, wie sehr Kinder auf traditionelle Strukturen angewiesen seien, die ihnen Halt und Sicherheit geben.
„Längst geht es nicht mehr darum, dass sexuelle Minderheiten und unterschiedliche Lebensformen in ihrer Eigenheit geachtet und vor Entwertungen geschützt werden. (…) Kinder und Jugendliche werden in eine bestimmte weltanschauliche Position gedrängt, die sich auf Antidiskriminierung beruft und sich in der Gewissheit moralischer Überlegenheit in Szene setzt.“ (S.74)
Diese kurzen Essays sind eine großartige Zusammenfassung der aktuellen Debatten über einige Minderheiten unserer Gesellschaft, die lange um ihre Rechte gekämpft haben. Ahrbeck öffnet aber auch die Augen für anmaßende Forderungen, die immer mehr Bevölkerungsgruppen von ihrer bisher gefühlten Normalität in eine Randposition drängen.